Wir sind auch das, was wir nicht sind.

Venus

 

Bei Sonnenaufgang fahre ich von Rom auf der Via Aurelia Richtung Norden. Dann rechts ab, in die Natur, gute Luft weht durchs Auto. Auf der Hochebene stehen weiße Rinder. Ich denke an die griechische Keramik, den Toro Farnese, die Etrusker. 

Auf der anderen Seite geht’s wieder hinunter, bis zu einer schottrigen Kurve. Diese Kurven sind alle gleich. Vor 30 Jahren war ich einmal dort. Es ist ein Ort, den nur Einheimische kennen und der geheim bleiben soll.

Ich habe ihn wieder gefunden: Kochend heißes Wasser fließt über die Erde und füllt zwei Wannen unter den Felsbrocken aus Travertin. Ein Feigenbaum mit winzigen Früchten, den Settembrini, ah, wie das duftet! Ich nehme die Maske ab.

Auf der Quelle sitzt eine Venus! Lange blonde Locken, Hals, Schultern, hohe Brüste, Bauch, eine Hand auf dem Knie, der Arm in die Hüfte gestützt, schwarze Stiefel Sommer und Winter.

Sie beobachtet die Gräser, den Wind, ernster Blick und melancholisch.

So jung, so schön!

Zwischen ihren Beinen sprudelt das Wasser.

 

Ich filme sie.

 

Archiv

 

Ich mache die Kartons auf. Seit langem wollte ich es tun. Und wieder ein guter Geruch, Kabel, altes Plastik, Bakelit, Dias, Filme, die Projektionsleinwand, schwarzer Karton, Fotografien.

Wir sind oben im Wohnzimmer, Feuer im Kamin, ich sitze am Boden an den Beinen von Mutti, das Knattern des Vorführgerätes, plötzlich wird es schneller, ah, ein Filmsalat, oder es schmilzt. Das war einmal ein Vorhaben, einen ganzen Film zu zerschmelzen. Immer aufgeschoben und nie gemacht. Zeig doch mehr Personen und nicht immer Landschaften, war ein Wunsch. Dann zurückspulen, aber durchs Objektiv, das ist so lustig, einordnen und das heutige Datum dazuschreiben, so erinnern wir uns. Bitte, Papa, zeig‘ noch einen!

Wege vergisst man nicht. Hier aufstecken, erst hinunter dann dort hinein, Achtung auf die Zähnchen, behutsam vorgeben, jetzt langsam einschalten aber nur kurz, bis das Ende herausschaut, dann weiter und langsam in die Gegenspule begleiten. Jetzt müsste er ihn automatisch nehmen. Ja, gut so. Es flimmert.

Ein kleiner schwarzer Punkt, ganz weit weg. Schnee, Berge, der Punkt wird grösser, macht elegante Schwünge auf dem Hang, schon mit einigen Zöpfen voll, zum Schluss ein lachendes, glückliches Gesicht, Großaufnahme. Ja, das war wirklich schön.

Ich filme es. 

 

Pasterze

 

Volltanken, Reifen kontrollieren, Autobahn Villach Salzburg, zum Großglockner.

Nein, nicht zu Fuß, Blick vom Aussichtsplatz. Hab‘ die Fotos dabei. 1950. Damals sind sie bis Mallnitz gefahren, hellblauer Rucksack, Seil, Steigeisen, Knickerbocker und Wolljacke, Sonnenbrille wegen der Schneeblindheit, dicke weiße Creme auf den Lippen, Eierbehälter aus Aluminium. Mehr weiß ich darüber nicht.

Letzte Woche hat es auf Grönland geregnet.

 

Ich filme und vergleiche.