Ich kenne Regina Hübner und ihren - damals erst zukünftigen - Mann Enrico Realacci seit einem Vierteljahrhundert. Ich habe den künstlerischen Weg von Regina verfolgt und sie hat ihrerseits meine musikalischen Erkundungen begleitet. Unsere Wege sind recht verschieden, nicht nur weil wir mit verschiedenen Medien arbeiten. Doch hat es im Lauf der Jahre immer wieder Begegnungen, Berührungs- und Schnittpunkte gegeben, wie auch heute hier in Klagenfurt.
Roberto Fabbriciani, den schon fast legendären Interpret neuer Flötenmusik, kenne ich sogar noch länger. Ein erstes Flötenstück habe ich für ihn schon in den achtziger Jahren komponiert, doch zu einer intensiveren Arbeit kam es Anfang der Nullerjahre, als ich meine Oper "Prospero", nach Shakespeares "Sturm" schrieb. Bei der Uraufführung der Oper im April 2006 im Staatstheater Nürnberg stand Roberto mit den vokalen Interpreten der Oper auf der Bühne als instrumentaler Alter Ego von Ariel, dem Zaubergeist, den Prospero auf der Insel vorfindet, der zu seinem Famulus wird und ihm alle Zaubereien ermöglicht, einschließlich des Sturms und des Schiffbruchs, den die Gegner von Prospero erleiden. In dieser Oper geht alles von der Flöte aus, von ihrem Ton, vor allem aber schon von ihrem Luftgeräusch. Denn aus der Luft, dem Hauch, den Ariel auf seinem Instrument produziert entsteht der Sturm. Am Anfang ist der Atem. Atmen als Ursprung, als Sinnbild der Lebenskraft, zeigt zugleich das Seelische an, bzw. ist sogar mit dem identisch, was jeweils als Seele angesehen wurde. Pneuma = Atem, Geist, Seele, wie auch Psyche = Atem, Hauch, Odem, auch Belebtheit in der Bedeutung: Leben, Seele, Geist, Gemüt. Wir können auch an das indische Atman denken (Lebenshauch, Atem), oder an Prana, das im Hinduismus Leben, Lebenskraft oder Lebensenergie bedeutet - ähnlich dem chinesischen Qi, sowie dem japanischen Ki (das eine mit Q, das andere mit K geschrieben)... Doch werde ich mich hier nicht in ethnologische, religionswissenschaftliche und philosophische Gefilde begeben - von esoterischen ganz zu schweigen.
Nur so viel, dass die Flöte Ariels - bei meiner Oper "Prospero" - nicht nur die Geschichte in Gang bringt, nicht nur die Zauberei Prosperos ermöglicht, sondern einer der höchsten Zaubereien, nämlich die Musik schafft, die die ganze Insel erfüllt. Die Musik ist das Andere, der andere, alternative, nicht vorhandene, utopische Ort, den Widersprüchen und Scheußlichkeiten der realen Welt entgegensetzt, in der wir gezwungenermaßen leben müssen, sowie auch Prosperos Abenteuer in jener wirklichen Welt ihren Ursprung hat , wo Intrigen und Bosheit herrschen.
Es ist wohl dank der Musik, dass Prospero beschließt, jenen, die ihn verraten und verbannt haben, zu verzeihen und der Hochzeit zwischen seiner Tochter Miranda und Ferdinando, dem Sohn des Königs von Neapel, eines seiner Feinde, zuzustimmen.
"Nel vento, con Ariel" (im Wind, mit Ariel), das sie heute hören werden, steht mit dieser Oper von mir in Zusammenhang.
Doch auch die anderen Flötenstücke haben mit dieser in gewissem Sinne ursprünglich-magischen, Leben spendenden Funktion der Flötenklänge zu tun. Der Ton entsteht aus dem Nichts und mündet wiederum ins Nichts. Die Stille, sowie der Übergang von ihr zum Ton ist wichtig. Überhaupt ist Stille nicht nur das Gegenteil von Ton, bzw. dessen Abwesenheit, sondern Teil der Komposition, integrierender, konstitutiver Bestandteil des musikalischen Diskurses.
Aus all diesen Gründen versteht man, dass bei allem Unterschied unseres künstlerischen Weges, es eine Affinität zwischen den Fragestellungen im Werk von Regina Hübner und meiner eigenen Arbeit gibt. Reginas Arbeit hat eine philosophische Qualität, die aufs Ganze zielt. Sie stellt Fragen, die mit unserem Leben, mit unserer Welt, mit dem Sinn oder Unsinn des Ganzen zu tun haben. Letzte Fragen, auf die es keine Antworten, es sei denn tröstlich-kompromisslerische geben kann. So auch das Video, das wir heute sehen und zu dem meine - im ganz anderen Kontext entstandene - Musik gespielt wird. Doch ist es gut, dass diese Werke, so unabhängig sie auch voneinander sind, in Beziehung zueinander treten. Es wäre nämlich billig, Reginas Installation zu untermalen; genau so wohlfeil wäre es, meine Musik durch eine Installation von ihr zu illustrieren. Spannender ist es, dass diese eigenständigen Werke sich begegnen, aufeinander reagieren und dadurch neue Aspekte freigeben und sich möglicherweise zu einer höheren Einheit ergänzen.
Die Installationen von Regina Hübner verdanken sich einem originären - im besten Sinn naiven - Staunen der Künstlerin, ähnlich dem Staunen des Kindes über die Unfasslichkeit der Welt. So hat auch die unendlich tropfende - noch mehr die "zurücktropfende" Milch - in der Installation "time and person" etwas Unheimlich-Unfassbares, so wie es - sind wir aufrichtig - das Leben und der Tod und letzen Endes wir selber es sind.
On the occasion of Die Floete und Das Bild - Roberto Fabbriciani. Huebner - Lombardi at MMKK Museum Moderner Kunst Kaernten, Klagenfurt am Woerthersee, Austria, June 2018.